Freitag, 8. Juni 2012

randstellige Verfallserscheinungen

KOLUMNE VON KARLHEINZ WEISSMANN JF 24/12
Deutsch-französisch: Am 30. Mai
feierte Arte seinen 20. Geburts-
tag. 1992 hatte man den deutsch-
französischen Kanal auf Sendung ge-
hen lassen. Bis heute erreicht er kaum
mehr als ein Prozent der Zuschauer.
Das wäre zu verschmerzen, wenn man
sich – mit Grund – auf ein elitäres
Konzept berufen könnte. Tatsächlich
ist das Niveau aber jämmerlich. Das
Urteil bezieht sich nicht nur auf die
politisch-korrekte Penetranz aller
möglichen Reportagen, Interviews
und Gesprächsrunden, sondern auch
auf die undurchdachten „Themen-
abende“, die mittlerweile Geschichte
sind, die Eigenproduktionen, etwa
die dilettantischen Reihen zu Phi-
losophie oder Geopolitik, oder die
schlechten Dokumentationen. Sicher
spielen für die niedrige Qualität ver-
schiedene Faktoren eine Rolle, aber
der Beobachter wird den Verdacht
nicht los, daß eine der Hauptursa-
chen die Entschlossenheit ist, mit der
die französische Seite Arte zu ihrer
Pfründe gemacht hat (der Chef ist
entgegen den Abmachungen zum
dritten Mal in Folge ein Franzose)
und die deutsche Seite desinteressiert
bleibt.
˜ Warum verteidigt niemand den
Pragmatismus? Warum muß „prag-
matisch“ immer herhalten, um ei-
ne opportunistische Verhaltenswei-
se zu rechtfertigen? Warum erhebt
niemand dagegen Einspruch, wenn
Leute, die sich wahlweise auf ihren
Wirklichkeitssinn, die Notwendig-
keit, nach vorne zu schauen, oder
ihre guten Absichten berufen, jedes
Messen an ihrem tatsächlichen Han-
deln – dem pragma – zu unterbin-
den suchen?
˜ Gute Aphoristiker sind solche, die
die Fähigkeit haben, das Ganze zu
übersehen.
˜ Deutsch-britisch: Die Entwick-
lung der multikulturellen Gesell-
schaft verläuft stufenweise. Insofern
ist es aufschlußreich, sich mit denje-
nigen zu befassen, die weiter sind als
wir. Nehmen wir etwa das Beispiel
Großbritannien. Schon vor Jahren
gab es Berichte, daß es jungen Paki-
stanerinnen, die zwangsverheiratet
werden sollen und deshalb davon-
laufen, nicht empfohlen wird, ein
Taxi zu benutzen (wegen des hohen
Anteils von Landsleuten unter den
Fahrern), und daß die Polizei nur be-
dingt als Freund und Helfer in Fra-
ge kommt (wegen der Quote mosle-
mischer Migranten im öffentlichen
Dienst); das sind ohne Zweifel Pro-
bleme anderer Qualität, als wir sie
mit einem Essener Kommissar ha-
ben, der außerdem für den Verfas-
sungsschutz die islamistische Szene
ausspähen sollte und der sich jetzt
als Parteigänger der Salafisten erweist.
Ein anderes Beispiel für solche quali-
tativen Differenzen ist der Versuch,
das Versagen von  managing diversi-
ty  („Vielfaltsmanagement“) entwe-
der mit Sozialem oder Kulturellem
zu erklären, über den wir bis heute
nicht hinausgekommen sind. Die sy-
stematische Vergewaltigung weißer
Mädchen, die kaum dem Kindesalter
entwachsen waren, durch eine Gang
von acht Pakistanern und einem Af-
ghanen in Liverpool ließ selbst in den
linksliberalen Medien des Landes die
Frage aufkommen, ob man es hier
nicht mit einer neuen Form von Ras-
sismus zu tun habe, der sich irritie-
renderweise gegen Bio-Briten richtet.
˜ Das Wort „Reich“ ist keltischen,
nicht germanischen Ursprungs. Die
Kelten haben nie ein überlebensfähi-
ges Gemeinwesen zustande gebracht.
˜ Deutsch-polnisch: Angekündigt
ist ein neues deutsch-polnisches Ge-
schichtsbuch für das Jahr 2014. Auf-
grund der Erfahrungen mit dem ent-
sprechenden deutsch-französischen
Projekt wird man etwa folgenden
Inhalt erwarten dürfen: Alles bis zur
Elbelinie war urslawisches Territo-
rium, seit dem Mittelalter wurden
dessen Einwohner von deutschen
Ostlandfahrern gewaltsam unter-
worfen, danach ging es „immer hin
und her“ (analog zu Elsaß-Lothrin-
gen); jedenfalls haben die Eindring-
linge die Kultur der Autochthonen
mit allen Mitteln, etwa der Einfüh-
rung wesensfremder Pflugformen,
zerstört; trotzdem gelang es Polen,
in der Folge ein friedliches und blü-
hendes Gemeinwesen aufzubauen,
dem sich die Umwohnenden freudig
anschlossen; die Herrlichkeit dauerte
bis zum 18. Jahrhundert, als das pol-
nische Staatswesen erneut deutschen
imperialen Gelüsten zum Opfer fiel;
das alles sind Belege für den „Drang
nach Osten“, in den sich bruchlos
der Angriff von 1939 auf das friedlie-
bende, demokratische Polen fügt, das
dann gerechterweise zu den Siegern
von 1945 gehörte und die lange verlo-
renen Westgebiete zurückerhielt; was
mit der kleinen Zahl deutscher Ein-
wohner in diesen Räumen geschah,
gehört bis heute zu den Rätseln der
Geschichte (eventuell verweist man
auf bedauerliche Probleme im Zu-
sammenhang einer „geordneten Um-
siedlung“); eine Sicht der Dinge, der
sich die deutsche Seite bedauerlicher-
weise lange Zeit verweigert hat, die
nun aber endgültig durchgesetzt sein
wird, dank der Tatsache, daß selbst
Vertriebenenfunktionäre nichts mehr
fürchten als den Vorwurf des „Re-
vanchismus“.
Die nächste „Gegenaufklärung“ des Histo-
rikers Karlheinz Weißmann erscheint am
22. Juni in der JF-Ausgabe 26/12.